"Angst zu haben ist sehr wichtig"
Interview mit Orlando Duque

"Beim Springen überlasse ich nichts dem Glück – ich vertraue meinem Körper". Der mehrmalige Weltmeister im Klippenspringen Orlando Duque über seine Gefühle vor dem Sprung
Orlando Duque beim Cliff diving: Angst hilft ihm, sich zu konzentrieren
Foto: RedBull Content Pool

Sie springen, seit Sie 10 Jahre alt sind. Haben Sie überhaupt noch Angst auf der Klippe?

Natürlich. Angst ist ein wichtiger Bestandteil unseres Sports. Sie hilft mir, mich zu konzentrieren. Und: Je höher der Sprung, desto stärker die Furcht. Ab 25 Metern wird das wirklich schlimm.

25 Meter, puh! Und wie hoch war Ihr höchster Sprung?

34 Meter über dem Wasser – das war in Italien, von einer Brücke. 

Schaut man denn vor einem Sprung noch mal nach unten?

Nein, am besten steht man dort gerade und lässt den Blick auf Augenhöhe. Dann kann ich den Sprung in jede Richtung lenken.

Welche Gedanken gehen einem vorm Sprung durch den Kopf?

Keine, denn ich muss mich mit der ganzen mentalen Kraft auf den Absprung konzentrieren – sonst wird’s kein guter Sprung. 

Sie sind gut durchtrainiert. Wie wichtig ist eine Top-Kondition?

Verdammt wichtig. Wenn man erst einmal in der Luft ist, hilft einem gar nichts anderes mehr. Dann zählt nur der Körper. Und der muss auch bei der Landung funktionieren: Bei einem Sprung aus 27 Metern Höhe wirkt rund das 5-Fache der Gravitationskraft auf mich ein. Ein 70-Kilo-Mann schlägt unten mit der Kraft von 350 Kilogramm auf. Das muss er erst mal kontrollieren können.  

Dann trainieren Sie also auch viel abseits der Felsklippen?

Besonders die Bauchmuskeln und das Kreuz müssen gestärkt werden. Das hilft mir dann bei den Drehungen in der Luft. Ich mache 300 Wiederholungen an 5 Tagen die Woche, am liebsten Bauchübungen mit Medizinball oder Swiss Ball. Aber auch der Rest meines Körpers ist wichtig. Ich mache auch Kniebeugen auf einem Bein. Und die Ausdauer verbessere ich durch Radfahren und Laufen sowie durch Rudern. 

Und wie oft springen Sie?

4-mal in der Woche arbeite ich im Pool an meiner Technik.

Hartes Pensum! Wie kommt man eigentlich zu dem Sport?

Ich bin schon seit jeher gerne gesprungen, aber im Schwimmbad wurde es mir irgendwann zu langweilig. Da springt man stets aus derselben Höhe, und alles ist eben sehr kontrolliert.

Aber doch auch sicherer.

Klar, aber Klippenspringen lebt ja von der Kombination aus der Spannung eines olympischen Turmspringer-Wettbewerbs und der Angst, von unbekannten, sehr hohen Klippen zu springen. 

Viele Klippenspringer haben sicher einen Talisman, oder?

Also, ich auf jeden Fall nicht. Ich vertraue auf meinen Körper und mein Training. Dem Glück sollte man wirklich nichts überlassen.

Vielleicht bringt das Springen Glück in der Liebe – bei Frauen kommen Sie bestimmt gut an.

Ich arbeite an meinem Körper, um gut zu springen. Wenn den Frauen mein Körper und meine Sprünge gefallen: gut. Mögen sie meinen Körper nicht, dann doch wenigstens die Sprünge.

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04 / 2023

Erscheinungsdatum 15.03.2023