Nachhaltig reisen ohne schlechtes Gewissen

Nachhaltig reisen
Tipps zum Reisen ohne schlechtes Gewissen

Zuletzt aktualisiert am 16.11.2021
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Nachhaltig reisen
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Reisen, so zeigt sich, wird immer mehr zu einer zwiespältigen Angelegenheit: Was für den Menschen erholsam ist, wird für unseren Planeten dank vielfältiger Auswirkungen des Massentourismus zur Belastung. Man könnte sagen: Der Planet braucht also mal Urlaub von uns bzw. von unserer Art zu reisen. Wie kann das gelingen? Das zeigen wir dir hier.

Die besten Tipps fürs klimaneutrale Reisen findest du in unserer Bildergalerie. Hier im Text findest du noch ein paar Gedanken, Fakten und Ideen zum nachhaltigen Reisen.

Wie kann ich klimaneutral reisen?

Die grünste aller Reisen führt nicht in die Ferne, keine 10 000 Kilometer weit weg. Sie dauert keine 3 bis 6 Wochen, braucht kein Flugzeug, keinen Zug, kein Auto. Die grünste aller Reisen beginnt an der eigenen Haustür. Sich einfach die Schuhe anziehen, losgehen und die nächste Nähe als größte Weite erleben, kann so spannend wie unterhaltsam, befreiend oder auch erhellend sein.

Es ist doch so: Die Gegend um die eigene Wohnung kennen wir oft weniger gut als ferne Länder. Ferne bringt jedoch immer auch ein Versprechen mit: das Andere, die Abwechslung, vielleicht gar – obwohl davon bei den meisten Reisen heute nicht mehr die Rede sein kann – das Abenteuer. Ansichtssache. Und mehr als eine Frage der inneren Haltung: unserer Bereitschaft nämlich, sich auf Neues einzulassen, dem vermeintlich Bekannten anders zu begegnen und sich so in eineinhalb Stunden weiter weg begeben zu können von dem Einerlei des Gewohnten und des Gewöhnlichen, als irgendeine Flugreise das schaffen könnte.

Die Frage: "Was ist Reisen?", hat der französische Schriftsteller und Nobelpreisträger Anatole France (1844–1924) bereits zu Zeiten gestellt, als von Pauschalurlauben und All Inclusive noch keine Rede war: "Ein Ortswechsel? Keineswegs! Beim Reisen wechselt man seine Meinungen und Vorurteile."

Warum ist es so wichtig, klimaneutral zu reisen?

Reisen, das geht in Augsburg so gut wie in Albanien und im Harz nicht weniger als in Honduras. "Die weitesten Reisen", meinte der polnisch-britische Schriftsteller Joseph Conrad dazu, "unternimmt man mit dem Kopf." Während der US-amerikanische Essayist Edward Dahlberg unkte: "Wer feststellt, dass sein Leben wertlos ist, der begeht entweder Selbstmord oder geht auf Reisen." Beides, so ließe sich weiter unken, wirkt tödlich. Das muss in dem einen Fall wohl nicht erläutert werden, in dem anderen – dem mit dem Reisen – schon.

Das Reisen nämlich bringt uns zwar nicht unmittelbar um, auf Dauer aber schon. Denn es trägt dazu bei, die Welt an ihre Belastungsgrenze und über diese hinaus zu führen. Der deutsche Schriftsteller Hans Magnus Enzensberger brachte das schon 1958 in einem Essay auf den Punkt: "Der Tourismus zerstört das, was er sucht, indem er es findet." Das gilt heute mehr als noch gegen Ende der 1950er, als man jährlich um die 30 Millionen Reiseankünfte weltweit verzeichnete. Derzeit sind es um die 1,5 Milliarden, und bis 2030 sagt die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) eine Verdopplung voraus.

Der Massentourismus sei zu einer der "wichtigsten Industrien des Jahrhunderts" geworden, schreibt auch der italienische Autor Marco d’Eramo, der sich in seinem Buch "Die Welt im Selfie" (2018) dem Thema widmet. Untertitel des Werkes: "Eine Besichtigung des touristischen Zeitalters." In Deutschland erbringt die Reisebranche pro Jahr eine Bruttowertschöpfung, die der tourismuspolitische Bericht der Bundesregierung auf knapp 100 Milliarden Euro beziffert. Laut dem Umweltprogramm der Vereinten Nationen entstehen aber auch etwa 5 Prozent der weltweiten CO2-Emissionen direkt durch den Tourismus – das sind Jahr für Jahr mehr als eine Milliarde Tonnen. Andere Quellen, etwa eine australische Studie, gehen hier gar von 8 Prozent aus. Davon entfallen 40 Prozent auf Flugreisen und 32 Prozent auf den Autoverkehr, 21 Prozent auf die Unterkünfte und 3 Prozent auf die Reisen mit Bus und Bahn.

Wie belastet das Reisen das Klima und die Umwelt?

Die Entfernung zum Reiseziel und die Wahl des Verkehrsmittels haben enormen Einfluss. Ein Flug von Deutschland auf die Kanaren und zurück hat einen Ausstoß von ungefähr 1800 Kilogramm CO2 zum Resultat. Pro Person, wohlgemerkt. Ein vollbesetzter Mittelklassewagen könnte einmal um die ganze Welt fahren, ohne dabei mehr Kohlendioxid auszustoßen.

Hinzu kommen weitere Effekte des Verkehrs auf Umwelt und Klima. Geht man wie der Weltklimarat der Vereinten Nationen (IPCC) davon aus, dass diese etwa 2- bis 5-mal höher liegen als die alleinige Wirkung des ausgestoßenen CO2, wird deutlich, dass Massentourismus für die Gesundheit des Planeten ein verheerender Virus ist.

Die Belastungen sind vielfältig und beschränken sich nicht alleine auf den Ausstoß von Treibhausgasen: Bausünden, Verkehrs-Overkill, Vernichtung von Natur, Berge von Müll (auf den Malediven alleine 140 Tonnen an einem einzigen Tag), Lärm, Ausbeutung von Arbeitskräften, Verzerrung sozialer und ökonomischer Gefüge vor Ort sowie nicht zuletzt die Zerstörung von Kulturgütern, wenn zum Beispiel Karawanen von Sandalenträgern durch Tempelanlagen trampeln oder Menschen in Minibussen auf "Safaris" wild lebenden Tieren nachstellen. Es ist extrem schweres Gepäck, das der internationale Tourismus mit sich schleppt, und wir alle haben lange unseren Teil mit in diesen Koffer gepackt. Der fällt uns, wenn sich nicht schnell eine Menge ändert, bald auf die Füße.

Wie verändert der Klimaschutz das Reisen?

Die Reisebranche steht am Scheideweg. Zwar müssen wir unsere Reisegewohnheiten nicht auf Spaziergänge um den Block reduzieren, allerdings müssen wir uns bemühen, anders zu reisen. Sich als Weltbürger zu verstehen heißt eben nicht, dass einem die ganze Welt gehört und man sich wie und wo auch immer bedienen kann. Es bedeutet, dass man eine Verantwortung für diese Welt hat und sich in ihr so bewegt, dass unser Vergnügen nicht notwendig Schaden für andere mit sich bringt.

Auch als ein Kriterium für Urlaubsqualität gewinnt dies mehr und mehr an Bedeutung, es wiegt oft schon schwerer als Urlaubsbräune oder ausufernde Badelandschaften. So gaben in der Umfrage einer Buchungsplattform etwa 81 Prozent der Reisewilligen an, sie würden im nächsten Jahr in einer nachhaltigen Unterkunft Urlaub machen wollen. Fast die Hälfte bemängelte allerdings, es gebe nicht genügend nachhaltige Angebote.

Immerhin: Google hat festgestellt, dass sich die Anzahl der Suchen nach Öko-Hotels innerhalb des vergangenen Jahres verdoppelt habe. Deswegen führte die Suchmaschine ein Informations- und Kennzeichnungssystem ein, das es den Nutzern leichter machen soll, die Umwelteinflüsse ihrer Reisen zu kontrollieren. Flüge werden nach ihren CO2-Emissionen eingestuft, und Unterkünfte, die von einer unabhängigen Organisation zertifiziert wurden, werden neben einem entsprechenden Icon auch mit einer Liste versehen, die genau aufführt, wie sehr sich eine Unterkunft um Nachhaltigkeit und Umwelt verdient macht.

"Wir sehen deutlich, dass das Interesse an Nachhaltigkeit steigt", sagt Andrea Nicholas von der Zertifizierungsinstitution Green Tourism in Edinburgh, und: "Es entwickelt sich zu einem Must-have.“

Darf man wegen des Klimas jetzt bald gar nicht mehr reisen?

Sich um die Nachhaltigkeit Gedanken zu machen heiße nicht, dass man auf seinen Urlaub komplett verzichten müsse, erklärt Justin Francis, Geschäftsführer von Responsible Travel, einem nachhaltigen britischen Reiseunternehmen. Aber was heißt es dann? Kurz und knapp ließe es sich etwa mit dem großen deutschen Schriftsteller Theodor Fontane auf den Punkt bringen: "Wer reisen will, muss zunächst Liebe zu Land und Leuten mitbringen."

Etwas weniger romantisierend ließe sich der nachhaltige, grüne Tourismus beschreiben als ein Sammelbegriff für mehr Verantwortungsbewusstsein unterwegs, für eine Art zu reisen, die nicht nur auf unsere Erholung bedacht ist und die nicht nur unser Wohl fördert, sondern auch das anderer und das der Umwelt.

Anders ausgedrückt geht es darum, die negativen Folgen des Reisens zu minimieren, seien sie ökonomischer, ökologischer, kultureller oder sozialer Art. Das klingt dramatischer, als es ist, führt aber im besten Fall dazu, dass eine verantwortungsbewusste Reise einen Beitrag leistet, um natürliches, soziales und kulturelles Erbe zu bewahren und somit zu mehr Vielseitigkeit beizutragen. Was auch für uns Reisende eine bereichernde Erfahrung ist, weil es uns zu einem besseren Verständnis der Verhältnisse vor Ort und einer tieferen Verbindung mit diesen verhilft. Lies hier mehr über neue Mobilität für eine nachhaltige Gesellschaft.

Was kannst du tun, um klimafreundlicher zu reisen?

Du willst weg von der zutiefst gewissenlosen Luxusattitüde des Massentourismus? Sprich: ins Flugzeug zu steigen und Tonnen von Kerosin zu verfeuern, um unter irgendeiner Palme im Sand zu hocken, solange das noch möglich ist? Das ist gut, denn sonst wird es weder die Palme noch den Strand, an dem diese steht, noch lange geben – wenn es so weitergeht mit den allzu billigen Flugreisen um die ganze Welt, wird ein großer Teil dieser Welt bald nicht mehr existieren.

Wenn sich ein Flug denn nicht vermeiden lässt, kannst du zumindest

  • eine Airline mit möglichst neuen Maschinen wählen und die CO2-Emissionen deines Trips über eine Organisation wie atmosfair kompensieren.
  • eine kleine Unterkunft beziehen, ein Gästezimmer, ein B&B, und wenn es doch ein Hotel sein soll, dann eines von unabhängiger Seite entsprechend zertifiziertes.
  • All-Inclusive-Resorts, die internationale Ketten in die erste Reihe hinter den Strand betoniert haben, künftig boykottieren, da dort der Umgang mit Ressourcen so wenig eine Rolle spielt wie der mit den Mitarbeiter:innen.
  • eine eigene Wasserflasche mitnehmen, statt immer wieder Wegwerfflaschen aus Plastik zu kaufen. Klingt nach einer Petitesse? Mag schon sein. Doch sind an die 34 000 Plastikflaschen, die pro Minute im Mittelmeer landen, auch nur eine Kleinigkeit?
  • dich bemühen, individuell auf Entdeckungstouren zu gehen, statt in der geführten Reisegruppe Klischee-Erlebnisse zu konsumieren.
  • dich unterwegs bei lokalen Anbietern zu versorgen, frische Waren auf einem Markt einkaufen und abends dort essen gehen, wo es auch die Einheimischen hinzieht.
  • dich schon im Vorfeld über Gepflogenheiten und Sitten im Gastland oder in der Region, die du bereist, informieren, denn das hilft dir wie ein guter Gast rücksichts- und respektvoll aufzutreten – und nicht so wie die peinlichen Touristen-Trampel, die immer wieder so tun, als würde die ganze Welt ihnen allein gehören.

Was bringt die Zukunft?

Nachhaltiger Tourismus schließt also umweltverträgliches Reisen ein, ist als Begriff aber viel weiter zu fassen. Und so gelangt man zu den Fragen, die ganz am Anfang allen Reisens stehen: Warum verreisen wir überhaupt? Was versprechen wir uns vom Anderswo? Treiben uns Neugier und Fernweh in die Fremde? Soll es, wohin wir reisen, überhaupt fremd sein? Und ist es nicht der Reiz einer jeden Reise, sich selbst im Anderen anders zu erleben und vielleicht gar als ein Anderer zurückzukommen?

Manchen ist das alles zu viel. Sie wollen in der Hauptsache einen Tapetenwechsel, eine Flucht aus dem Alltag. Gutes Wetter, Selfies, Urlaubsbräune. Tagsüber Pool und abends deutsches Bier. Aber den Horizont erweitern? Lieber zusehen, wie die Sonne am selbigen im Meer versinkt. Es bringt überhaupt nichts, dem Wunsch nach Erholung mit einer genussfeindlich moralisierenden Einstellung zu begegnen. Aber wenn wir alle uns über unseren Urlaub mehr Gedanken machen, steigen die Chancen erheblich, mit unseren Reisen nicht die größtmögliche Öko-Sünde zu begehen, sondern ein Tickchen mehr zur umwelt- und sozialgerechten Gestaltung von Tourismus beizutragen. Schönen Urlaub – für uns alle!

Du willst Fernweh und Fairness ab sofort besser miteinander vereinbaren? Die besten Tipps für grünes Reisen findest du oben in der Galerie. Also, klick dich durch und viel Spaß beim fair-reisen.

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