Studien belegen es: Allein 2020 ist die weltweite Anzahl an Betroffenen, die eine neu entwickelte Angsterkrankung erlitten, deutlich angestiegen. Ein Wunder ist das nicht – die Bedingungen waren dafür ein großer Antrieb, und sie sind es nach wie vor.
Erst zwei Jahre Corona-Pandemie, dann im Februar ein weiterer Schock: Krieg mitten in Europa. Die ständigen Kriegsnachrichten sowie das unbekannte globale Ausmaß sorgen bei vielen Menschen für ernsthafte Panik und Ängste. Bei einigen sogar für so genannte Angststörungen. Was es damit auf sich hat und ob du betroffen sein könntest, erfährst du in diesem Artikel.
Angst ist die wohl wichtigste Emotion des menschlichen Körpers, denn sie kann Leben retten. Sie ist die körperliche Antwort auf Gefahr, die das menschliche Angstzentrum erkennt, um zu schützen. Heißt: Gut regulierte Angst ist durchaus sinnvoll. Sie versetzt den Körper in Alarmbereitschaft und stellt Ressourcen wie das Stresshormon Adrenalin zur Verfügung, um auf eine Bedrohung mit Flucht oder Angriff zu reagieren.
Bei Angststörungen tritt die Angst allmählich unbegründet und immer häufiger auf. Sie ist nur noch schwer kontrollierbar und längst nicht mehr ein nützlicher Reflex auf reale Gefahren.
"Von einer Angststörung spricht man dann, wenn es durch intensive Ängste zu einer relevanten Beeinträchtigung des normalen Lebens und der Lebensqualität gekommen ist", so Prof. Dr. Bernd Löwe, Klinikdirektor der Klinik und Poliklinik für Psychosomatische Medizin am UKE. Betroffene entwickeln Ängste auch in eigentlich harmlosen Situationen, sie empfinden sie stärker und häufiger als real angemessen wäre. Selbst wenn man erkennt, dass die eigene Angstreaktion unangemessen stark ausfällt, sind Betroffene kaum in der Lage, sie zu beeinflussen.
Wenn du Angst hast, spielt sich das nicht nur in deinem Kopf ab, es macht auch etwas mit deinem Körper. Das merkst du an dem unangenehmen Gefühl, das dann deinen Körper dominiert. "Wenn wir Angst haben, werden über das Nervensystem Stresshormone ausgeschüttet, also zum Beispiel Adrenalin und Noradrenalin. Dabei werden auch die Muskeln aktiviert, sodass wir im Prinzip sofort los spurten könnten", erklärt der Experte.
Wenn du aufgrund der aktuellen Kriegs- und Krisennachrichten mehr als sonst in deine Gedanken versunken bist, ist das verständlich und zunächst nicht schlimm. Ein Problem entsteht erst dann, wenn du deine Sorgen nicht mehr willentlich loslassen kannst. Denn Angst ist eigentlich eine Emotion für ausgewählte Momente. Tauchen deine Sorgen aber immer wieder auf oder verschwinden erst gar nicht, leidet dein Körper unter langanhaltendem Stress. Die Angst setzt sich im Körper fest.
"Die Ursache einer Angststörung hat aber immer mehrere Faktoren", erklärt Professor Löwe. Heißt im aktuellen Fall: Zu den immer wiederkehrende Sorgen rund um Krieg und Corona kommen weitere Dispositionen und Stressfaktoren wie zum Beispiel Überlastung im Job, finanzielle Probleme oder Stress mit dem Partner hinzu.
Eine Nebenrolle können auch bestimmte Gene spielen, wie eine Studie zeigte. Und auch aus dem Gleichgewicht geratene Botenstoffe im Gehirn können zu einer Angststörungen beitragen – dazu zählt unter anderem das Glückshormon Serotonin.
Ob Krieg oder Pandemie: "Grundsätzlich können solche Ereignisse unterschiedliche Arten von Angststörungen auslösen", sagt Löwe. Man unterscheidet zwischen diesen Typen:
Experte Löwe geht davon aus, dass die durch die aktuelle Situation ausgelösten Störungen am ehesten den generalisierten Angststörungen zuzuordnen sind, begleitet möglicherweise häufiger von Panikattacken. Die Entwicklung einer spezifischen Phobie ist, je nach Auslöser, ebenfalls möglich. Seit der Corona-Pandemie kommt es zum Beispiel häufig zur Angst vor Keimen und Ansteckung.
Nicht jeder, die durch den Angriffskrieg auf die Ukraine jetzt mehr Ängste hat als früher, erfüllt automatisch das Kriterium einer klinisch relevanten Angststörung. Ob du wirklich eine solche entwickelt hast, dabei können dir deine Antworten auf diese Selbsteinschätzungs-Sätze des AOK-Gesundheitsmagazin helfen. Treffen mehrere Punkte auf dich zu, solltest du mit deinem/deiner Hausärzt:in, einem/einer Psychosomatiker:in, oder einer/einem Psychotherapeut:in darüber sprechen, ob es sich tatsächlich um eine Angststörung handelt.
Viele Betroffene versuchen ihre Ängste und Sorgen zunächst selbst in den Griff zu bekommen. Das ist auch erst einmal in Ordnung. 7 Tipps haben wir für dich hier zusammengestellt:
Ergänzend rät Professor Löwe:
Doch lass dabei nicht außer Acht, dass es sich bei deinen Ängsten auch um eine ernsthafte Angststörung handeln könnte. Und diese durch Selbsthilfe zu bändigen, das schaffen die wenigsten. Wenn du mit der Selbstbehandlung also wenig Erfolg hast, solltest du zur Abklärung unbedingt einen Psychotherapeuten bzw. -therapeutin aufsuchen.
Vorab: Bis man in Deutschland einen Therapeuten-Termin bekommt, vergeht leider oft viel Zeit. Manchmal kann ein angstlösendes Antidepressivum eine Übergangslösung oder eine Ergänzung sein. Wann dies sinnvoll ist, erfährt du hier. Bei einer richtigen Angststörung ist Psychotherapie aber in jedem Fall erforderlich.
Hast du einen Termin ergattert, wird Therapeut oder Therapeutin mit dir gemeinsam entscheiden, welche Behandlungsart für deine Angsterkrankung in Frage kommt. "Der Therapeut untersucht, wie sich die Angst beim Betroffenen äußert und unter welchen Umständen sie entstanden ist. Außerdem schaut er sich die Lebensgeschichte des Patienten an. Dabei sollte er auch zusätzliche Belastungen ansprechen, zum Beispiel Probleme im Familienkreis. Danach analysiert er, was Angst für die Patientin eigentlich bedeutet, also wie groß die Angst ist und inwiefern sie das Leben einschränkt", so der Facharzt für psychosomatische Medizin.
Wie die Therapie am Ende aussieht, hängt ganz davon ab, was der/die Betroffene gerade braucht: "Man kann zum Beispiel eine Therapie machen, bei der man versucht, sich seinen Ängsten stückweise zu stellen." Zuerst den kleinen, dann den größeren, besser noch umgekehrt. Das nennen Therapeuten Expositionstherapie. "Eine ergänzende Möglichkeit ist eine Entspannungsbehandlung, bei der man lernt, wie man die Angst am besten abfedert, wenn sie wieder größer wird", so Löwe.
Dass das Krieg und Krisen Ängste auslösen, ist normal. Nehmen sie überhand, solltest du dir Entspannungstechniken aneignen und Informationspausen einlegen. Solltest du anhand unserer Kriterien erkennen, dass du eine Angststörung entwickelt hast, such dir professionelle Hilfe. Denn bei einer richtigen Angststörung hilft am Ende nur die Psychotherapie.