American Football gilt als eine der härtesten Sportarten der Welt. Spieler müssen extreme physische Härte und mentale Stärke mitbringen. Sebastian Vollmer ist zweimaliger Superbowl-Champion und damit der erfolgreichste Deutsche in der NFL. Er weiß, worauf es ankommt, um sich durchzusetzen.
Aber was genau bedeutet es, das ganze Leben dem Football unterzuordnen, jeden Tag um die 16 Stunden in einem Stadion zu verbringen, am Tag mindestens 6000 Kalorien zu sich nehmen zu müssen und kaum noch ein soziales Leben zu haben? Uns hat Sebastian erzählt, wie er mit den speziellen Herausforderungen dieses Sports umgegangen ist, wie er immensen Drucksituationen standgehalten hat, was es ihm bedeutet, berühmt zu sein, und welche Rolle glückliche Zufälle in seinem Leben gespielt haben.
Sebastian, was ist für dich das Spannende am Football?
Ob er groß, klein, dick, dünn, schnell oder langsam ist, für jeden Athleten bietet dieser Sport etwas. Das ist sonst in kaum einer Sportart der Fall. Tom Brady etwa ist einer der am wenigsten athletischen Spieler, mit denen ich jemals gespielt habe; trotzdem ist er auf seiner Position der Beste, den es je gegeben hat. Ich war ein 150-Kilo-Athlet, musste also über die Kraft kommen. Dementsprechend gibt's auch viele Möglichkeiten, erfolgreich zu sein in diesem Sport.
Wie hat das mit dir und dem Football damals begonnen?
Ich bin aufgewachsen mit Sport, war lange Schwimmer und darin sogar richtig gut. Aber im Wasser war ich stets allein mit meinen Gedanken, das wollte ich irgendwann nicht mehr. In den Football bin ich eher reingestolpert. Ich habe gemerkt, wie schön es sein kann, gemeinsam mit einem Team was zu erreichen. Auch dort wurde ich schnell gut, ich habe für die deutsche Nationalmannschaft und für die Europaauswahl gespielt. Der Schritt in die USA an ein College war dann wirklich wegweisend. Dort hatte ich dann nicht nur einmal das Glück, viel Unterstützung zu bekommen von Menschen, die Wege für mich gesehen haben, die ich damals selbst noch nicht sehen konnte.
Was hat dich anfangs in den USA am meisten gefordert?
Ich bin über 2 Meter groß und habe einen breiten Körperbau. Für Deutschland hat das gereicht. Als ich mit 18 in die USA kam, musste ich jedoch erst mal 35 Kilo zunehmen. Das geht natürlich nicht nur mit Krafttraining, sondern eher mit Chicken-Wings und Toast. Ob es der sportlichen Leistung hilft, daran habe ich damals keinen Gedanken verschwendet. Es ging einzig darum, an Gewicht zuzulegen.
Das mit der Leistung kam ja trotzdem. Wie ging das?
Vermutlich, weil ich so hart wie noch nie trainiert habe. Die erste Einheit morgens um 5 Uhr, dann zur Uni, aber das war fast nebensächlich. Der ganze Tag drehte sich um Training und um die Spiele. Viel trainieren, viel essen und viele Kalorien verbrennen. Heute bin ich mir sicher, dass ich meine Ziele schneller erreicht hätte, wenn ich mich damals besser ernährt hätte.
Wie lief zu deinen besten Zeiten ein typischer Tag ab?
Als Profi wohnte ich direkt neben dem Stadion, damit ich keine Zeit verschwende. Um 5 Uhr morgens war ich dort, habe mir dann so viele Kalorien wie möglich reingehauen, meist einen Shake mit Eiweißpulver und Erdnussmus. Der Alltag war von vielen Meetings bestimmt, wir gingen Spielzüge durch, analysierten sie, studierten selbst welche ein. Da wurden viele Eventualitäten geübt – so etwas wie: Ich glaube, der macht das, dann werden wir das daraus machen, dann ... und so weiter. Das körperliche Training bestand meist aus 2 Stunden Football und einer Stunde Krafttraining am Tag. Dazwischen immer wieder viele Kalorien aufnehmen, egal wie. Nach 16 Stunden ging es dann nach Hause zum Abendessen, um bald danach noch mal was zu essen, damit die Kalorienbilanz stimmt. Trotzdem habe ich während der Saison ungefähr 10 Kilo abgenommen, daran musste ich immer arbeiten. Essen macht dir dann irgendwann keinen Spaß mehr, das ist eher Zwang. Aber es gehört eben zur Vorbereitung dazu.
Du hattest eine Position mit großer Verantwortung – wie hast du diesem hohen Druck standhalten können?
Als Offensive Tackle trägst du in der Tat eine riesengroße Verantwortung. Hätte ich meinen Job damals nicht gut gemacht, hätte die Offense nicht funktioniert und unser Quarterback Tom Brady womöglich einen harten Sack einstecken müssen. Ich hatte das Glück, dass ich sehr früh in meiner Karriere gute Spiele gemacht habe und sehr gelobt wurde. Was man aber schnell lernt: Lob ist nicht langlebig. Ein schlechtes Spiel, und du bist der schlechteste Spieler der Welt. Doch damit konnte ich gut umgehen. Hatte ich mich gut vorbereitet, musste ich mir am Ende auch nichts vorwerfen. Selbst wenn ich verletzt spielte, gab ich stets alles. Klar, etwas Nervosität ist immer da – und auch nötig, um die Sinne zu schärfen und Top-Leistungen abzurufen.
Den Superbowl zweimal zu holen ist ein toller Erfolg – hat dich das verändert?
Beim ersten Gewinn war der Druck schon enorm. Damit klarzukommen, dass dir dabei 250 Millionen Menschen zusehen und jeder zu dir eine Meinung hat, ist gar nicht so leicht. Auch in Deutschland hat dieser Erfolg für sehr viel Aufmerksamkeit gesorgt. Aber ich habe mich dadurch nicht verändert – hoffe ich! Na klar, vom Uni-Studenten zum Football-Profi, finanziell ändert sich da schon etwas. Mein Charakter hat sich aber nicht verändert. Ich bin seit 20 Jahren mit derselben Frau zusammen und ich versuche mittlerweile meinen Kindern weiterzugeben, dass Glück nicht allein materieller Besitz ist. Man sollte nicht neidisch sein, sondern zufrieden mit dem, was man selbst hat. Ich kann heute anders leben und andere Urlaube machen. Als Mensch bin ich noch derselbe.
Hattest du beim Sport auch mal Tage, an denen du völlig unmotiviert gewesen bist?
Football ist ein Mikrokosmos. Bringst du keine Leistung, bist du ganz schnell gefeuert. Aussetzer kann man sich da nicht erlauben. Also habe ich auch mit Verletzungen immer gespielt. Man möchte seinem Back-up keine Chance geben, sich zu beweisen. Im Team ist jede Position gleich mehrfach besetzt, Konkurrenzkampf ist da angesagt. Das ist nervig und anstrengend, manchmal kaum auszuhalten, aber auf längere Sicht macht dich das besser, denn es zwingt dich, zum besten Spieler zu werden, der du sein kannst. Das war für mich die beste Motivation.
Verletzte sitzen sonst doch maximal auf der Bank. Wieso ist das beim Football anders?
Football ist so schnelllebig, da muss man aus den wenigen Jahren das Maximum herausholen. Den Kopf ausschalten und weitermachen. Man weiß, dass man Langzeitschäden davontragen kann, doch die Motivation ist so groß, dass man alles versucht, alles gibt. Es ist wirklich erstaunlich, was ein Körper über ein paar Stunden im Match aushalten kann. Und danach kannst du ihn kein Stück mehr bewegen. All das änderte sich aber, als meine Frau schwanger wurde. Von da an war das alles für mich nicht mehr okay. Meine Kinder haben sich meinen Sport nicht ausgesucht, ihnen bringt's nichts, wenn ihr Papa im goldenen Rollstuhl sitzt und nicht mit ihnen spielen kann. Da war für mich klar, dass ich aufhöre. Ich wollte kein Risiko mehr eingehen.
Was hast du nach dem Ende der Karriere gemacht – und das Karriereende mit dir?
Als ich aufhörte, wog ich um die 150 Kilo. Ich wollte sehen, wie dünn und definiert ich werden kann. Also habe ich jede Haferflocke abgewogen, jede Bewegung gemessen – und damit richtig genervt. Ich musste wirklich wieder lernen, dass Essen nicht nur Arbeit ist, sondern dass es dabei auch um Genuss geht.
Treibst du heute noch Sport?
Ich trainiere immer noch viel, aber anders. Zu Hause habe ich ein Gym, ich stehe immer noch jeden Tag um 5 Uhr auf und trainiere dann ein bis zwei Stunden. Damit geht es mir gut. Schwere Gewichte kann ich aber nicht mehr stemmen. Ich trainiere, um schmerzfrei und fit zu sein. Wenn ich in Deutschland unterwegs bin, nutze ich die Studios von FitX. Die gibt's überall, und sie sind für mich optimal ausgestattet.
Was ist rückblickend das Wichtigste, das du in deiner aktiven Zeit gelernt hast?
Harte Arbeit zahlt sich aus. Ich schaue immer, was ich erreichen möchte. Alles, was dem Ziel nicht förderlich ist, tue ich nicht. Ist eine Party hilfreich fürs nächste Match? Nein, also gehe ich nicht hin. Ich habe für den Sport alles hintangestellt. Das macht es einfacher, Entscheidungen zu treffen. Auch heute noch.
Würdest du heute alles wieder ganz genauso machen?
Manche Entscheidung war sicher nicht schlau. Ich habe mir meine Schulter ruiniert, weil ich mich nicht operieren ließ, denn das hätte bedeutet, ein paar Monate auszufallen. Nun habe ich keinen Knorpel mehr in meiner Schulter und Schmerzen. Trotzdem war es an dem Punkt, als ich mich entschloss weiterzuspielen, die richtige Entscheidung. Es jetzt rückblickend anders zu beurteilen, wäre verkehrt. Es ist alles für etwas gut gewesen.
Hattest du einen Plan für die Zeit nach der Karriere?
Nein, es gab nur Football für mich. Ich fiel erst mal in ein Loch. Urlaub ist nur deshalb Urlaub, weil man im Vorwege gearbeitet hat. Über Monate nichts zu tun zu haben, war anstrengend. Ich hatte das Glück, schnell aufgefangen zu werden und wieder was zu tun zu haben. Jetzt darf ich die Entwicklung des Footballs und der Patriots in Europa mitgestalten. Football öffnet mir weiterhin Türen, da bin ich sehr dankbar. Der Sport hat mir so viel gegeben, jetzt kann ich etwas zurückgeben.
Du hast hier schon häufig davon gesprochen, dass du Glück hattest. Inwieweit?
Ich war oft zur richtigen Zeit am richtigen Ort und dort mit den richtigen Menschen zusammen. Trotzdem musst du auf die große Chance auch vorbereitet sein. Die ergibt sich vielleicht nur einmal im Leben, und dann musst du sie nutzen. Ich habe mich nicht nur auf mein Glück verlassen. Der Umstand, dass ich für die NFL von einem Top-Team wie den New England Patriots gedraftet wurde, hat mir den Weg schon sehr gut bereitet. Trotzdem war ich gefordert, selbst was daraus zu machen. Jetzt genieße ich das Glück, meine Kinder aufwachsen zu sehen. Und dass ich mir die Zeit nun frei einteilen kann.
Ex-Football-Profi Sebastian Vollmer spielte von 2009 bis 2016 als Offensive Tackle für die New England Patriots. Mit dem Team gewann er als bislang einziger Deutscher 2-mal den Superbowl, das Finale um die Meisterschaft der US-Profi-Liga NFL. Nach seiner Karriere blieb er dem Football als Experte und TV-Kommentator im TV treu. Als Keynote-Speaker spricht er zum Thema Mindset. Er hat Bücher über seine Karriere geschrieben, etwa „What it takes ... wie ich es geschafft habe, in der NFL erfolgreich zu sein“ (Riva, 20 Euro). Trotz alledem kommt aber die Familie bei Vollmer nie zu kurz.