Es ist der größte Traum vieler Männer: einmal das DFB-Trikot tragen und vor 60 000 Zuschauern kicken. Tobias Rau lebte diesen Traum. Er war Fußballprofi, spielte 7-mal für Deutschland, machte 93 Bundesligaspiele, auch für Rekordmeister FC Bayern München. Mit 21 Jahren feierte Rau sein Debüt in der Nationalmannschaft, galt als Ausnahmetalent und Hoffnungsträger auf der linken Abwehrseite. Im September 2009 aber, im besten Fußballeralter von 27 Jahren, hing der gebürtige Braunschweiger die Fußballschuhe an den Nagel. Ende, aus, vorbei. Schluss mit Profi-Fußball. Für viele unverständlich, aus Raus Sicht aber die einzige Möglichkeit für einen Neuanfang. Weg vom Millionengeschäft Fußball, raus aus der Öffentlichkeit, weg vom Druck, sich täglich vor Mitspielern, Gegnern, Trainern und Fans beweisen zu müssen. Hier erklärt Rau, warum er den Schritt gegangen ist — und warum er glaubt, dass sich viele Männer an ihm ein Beispiel nehmen können
Schule statt Stadion, 25 Schüler statt 60 000 Fans. Das klingt erst mal nicht so motivierend.
Glauben Sie mir, 25 Schüler zu unterrichten motiviert mich genauso, wie vor 60 000 Zuschauern zu spielen. Allerdings ist das Unterrichten lange nicht so nervenaufreibend. Ich habe meine Entscheidung übrigens noch zu keiner Sekunde bereut.
Wie hat Ihr Umfeld reagiert, als Sie Ihre Profi-Karriere von heute auf morgen beendeten?
Es gab Reaktionen in beide Richtungen. Viele hatten Respekt vor meiner Entscheidung, nach dem Motto: „Hut ab vor diesem ungewöhnlichen Schritt!“ Aber es gab natürlich auch einige Leute, die mich nicht verstanden und nur mit dem Kopf schüttelten.
Vom Profi-Kicker zum Pauker: Auf den ersten Blick ist Ihr Schritt schwer nachvollziehbar.
Aber nur auf den ersten Blick. Und nur für Leute, die mich nicht richtig kennen. Die Leute, die mir nahe standen, wussten, dass mich das Fußballgeschäft auf Dauer nicht glücklich machen würde. Im Profi-Fußball fehlte es mir einfach an Menschlichkeit. Das ist ein riesiges Geschäft, in dem es um sehr viel Geld geht. Da bleiben die Bedürfnisse des Einzelnen oft auf der Strecke. Wenn du verletzt bist, fragt dich keiner, wie es dir geht, du musst allein klarkommen. Zumal drei andere darauf lauern, deine Position einzunehmen. Auch so was wie echte Freundschaften sind im Fußball eine totale Seltenheit.
Aber es heißt doch immer „11 Freunde sollt ihr sein“?
Ehrlich, das ist Quatsch. Als Fußballer muss man sich jeden Tag neu im Training beweisen, um am Wochenende in der ersten Elf zu stehen. Der Druck ist enorm. Zu meiner Zeit als Profi bin ich jeden Morgen unruhig aufgewacht, mit dem Gedanken im Kopf, dass ich heute wieder Vollgas geben und mich gegen meine Konkurrenten durchsetzen muss. Das war schon krass.
Heute wachen Sie vermutlich deutlich entspannter auf.
Definitiv! Wenn ich jetzt aufstehe, freue ich mich, in die Uni oder Schule zu gehen. Unterrichten macht mir großen Spaß, weil viele Schüler einen offen in ihrHerz lassen. Ich merke: Sie wünschen sich, dass ich sie weiterbringe. Das erfüllt mich.
Was aus der Zeit als Profi können und wollen Sie Ihren Schülern mit auf den Weg geben?
Ehrlich gesagt: nicht sehr viel. Dinge wie Ehrgeiz und Motivation sind bis zu einem gewissen Maß gut, aber es kommt doch viel mehr auf Werte wie Zusammenarbeit, Empathie und ein Mit- statt Gegeneinander an.
Aber wenn Sie ein Schüler im Sportunterricht tunnelt, dann ist Schluss mit lustig, oder?
Oh ja, dann muss der Schüler auch mal damit rechnen nachzusitzen. Nur Spaß! Natürlich finden es die Schüler cool, wenn ich mitkicke und von Begriffen wie Vollspann, Außenrist oder Steilpass nicht bloß erzähle, sondern ihnen diese Dinge auch genau vormachen kann.
Wie reagieren Sie auf Schüler, die in einem Trikot mit Ihrem Namen drauf erscheinen?
Die kriegen eine Eins, ganz egal, wie gut oder schlecht sie sind. Nein, keine Sorge — da bin ich ganz neutral. Aber klar, es freut mich, wenn ich merke, dass die Schüler gern meine Schüler sind und sie in einer gewissen Art und Weise zu mir aufschauen.
Glauben Sie, dass Sie wegen Ihrer besonderen Lebens-Story vielen als Vorbild dienen?
Darüber habe ich noch nicht wirklich nachgedacht. Meine Entscheidung war in diesem Moment für mich absolut richtig. Aber ob solch ein Schritt auch andere voranbringen kann, das vermag ich nicht zu beurteilen. Dafür hängt das von zu vielen individuellen Faktoren ab. Obwohl: Dass man sich von mir abgucken kann, dass es Sinn ergibt, nicht immer bloß den einfachen Weg zu gehen — das könnte schon gut sein.
Haben Sie sich spontan zu dem Schritt entschieden, oder war es ein langer Prozess?
Von dem Moment, an dem ich das erste Mal konkret darüber nachgedacht habe, bis zu meinem Rücktritt verging nur eine Woche. Die Entscheidung fiel mir leicht. Schon nach dem Abitur wollte ich eigentlich Lehrer werden, dieses Berufsziel spukte also schon immer irgendwie in meinem Kopf herum. Und 2009, da war ich 27 — es erschien mir quasi als letzte Chance, noch mit dem Studium zu beginnen. Insofern war dieser Schritt so etwas wie ein Selbstläufer.
Hand aufs Herz: Wenn Sie Fußball schauen — wie oft wünschen Sie sich auf den Platz zurück?
Als Profi? Gar nicht! Ich habe 10 Jahre als Fußballprofi gearbeitet. Ein Job, der zurecht als Traumjob gilt, ein Job mit zig Annehmlichkeiten, in dem man viel Geld verdient. Aber eben auch mit vielen Schattenseiten. Ich genieße mein neues Leben und verspüre null Wehmut.
Haben Sie also vollkommen abgeschlossen mit dem Fußball?
Nein, der Fußball wird immer eine wichtige Rolle spielen. Ich nehme oft an DFB-Benefizspielen teil und spiele zudem beim TV Neunkirchen in der Kreisliga. Also zwar eher vor 25 als 60 000 Zuschauern — aber aus Spaß am Sport und ohne Druck.