In den vergangenen Jahren ist das Bewusstsein für Darmgesundheit enorm gewachsen. Begriffe wie "Mikrobiom" oder "Darm-Hirn-Achse" sind längst nicht mehr nur Forschenden vorbehalten und auch in Alltagsgesprächen tauchen sie inzwischen regelmäßig auf.
"Die Wissenschaft erforscht die Darm-Hirn-Achse und den Einfluss des Mikrobioms auf Immunität, mentale Gesundheit und Hauterkrankungen schon seit Jahrzehnten. Doch soziale Medien und Wellness-Influencer haben das Thema erst in die breite Öffentlichkeit gebracht", erklärt Lorraine Demetriou, Ernährungswissenschaftlerin und wissenschaftliche Beraterin bei Nutri Advanced.
Das ist zwar grundsätzlich positiv, warnt Demetriou, "aber es hat auch dazu geführt, dass in den sozialen Medien teils fragwürdige Trends als Wundermittel für einen gesunden Darm angepriesen werden". Sie hat sich deshalb vier besonders populäre TikTok-Trends angeschaut, die in den letzten Monaten unsere Social-Media-Feeds geziert haben. Sind einige davon wirklich wissenschaftlich fundiert, oder sollten wir ihnen mit einer gesunden Portion Skepsis begegnen?
Darmgesundheits-Trends, die viral gingen – und was dahinter steckt
Jeden Tag eine ganze Gurke essen
"Der Trend, täglich eine ganze Gurke zu essen, hat die Nachfrage nach Gurken weltweit in die Höhe schnellen lassen", sagt Demetriou. In Island etwa berichtete die Vereinigung der Gärtner gegenüber der BBC, dass Landwirte mit der steigenden Nachfrage kaum noch mithalten konnten. Auch in australischen Supermärkten waren Gurken zeitweise ausverkauft.
Bringt das überhaupt etwas? "Die Schale einer Gurke enthält unlösliche Ballaststoffe, die die Verdauung fördern und für regelmäßigen Stuhlgang sorgen. Eine ganze Gurke deckt etwa 5 Prozent des täglichen Ballaststoffbedarfs. Auch die Kerne und das Fruchtfleisch liefern Flüssigkeit und Nährstoffe. Zudem enthält die Schale Cucurbitacine, die entzündungshemmend wirken können", erklärt Demetriou.
Das klingt zunächst mal positiv, vor allem, da unsere Ballaststoffzufuhr in Deutschland im Allgemeinen viel geringer ist, als sie sein sollte, wie Daten der Nationalen Verzehrsstudie II zeigen. Demetriou sagt jedoch, dass es im Großen und Ganzen nicht notwendig ist, eine ganze Gurke auf einmal zu essen, und dass dies auch keine schnelle Lösung für einen gesunden Darm ist.
"Es gibt keine wissenschaftlichen Studien, die sich speziell mit den gesundheitlichen Auswirkungen des täglichen Verzehrs einer ganzen Gurke befassen", sagt sie. "Wenn du Gurken in ausgewogene Mahlzeiten mit Proteinen und Vollkornprodukten integrierst, nimmst du wichtige Nährstoffe und Ballaststoffe zu dir, die die allgemeine Darmgesundheit unterstützen."
Chiasamen-Wasser trinken
Auch bekannt als "Tadpole Water" oder – in Kombination mit Zitronensaft – als "Internal Shower": Chiasamen-Wasser ist einer der größten TikTok-Trends der letzten Jahre. Dabei werden Chiasamen in Wasser eingeweicht, bis eine geleeartige Masse entsteht, die angeblich die Verdauung anregt.
Bringt das überhaupt etwas? "Chiasamen sind tatsächlich sehr nährstoffreich – sie enthalten Omega-3-Fettsäuren, Eiweiß und lösliche Ballaststoffe, die im Magen eine Art Gel bilden. Dieses Gel kann die Verdauung verlangsamen, den Blutzuckerspiegel stabilisieren und die Darmgesundheit unterstützen", erklärt Demetriou.
Trotzdem: Das alleinige Trinken von Chiawasser ist kein Wundermittel. "Chiasamen sind gesund, aber sie entfalten ihre Wirkung nur im Rahmen einer abwechslungsreichen Ernährung. Außerdem sollte man beim Verzehr auf ausreichende Flüssigkeitszufuhr achten, um Verstopfungen zu vermeiden. Es gibt zudem deutlich angenehmere Wege, Chiasamen zu essen – etwa in Porridge, Joghurt oder Overnight Oats."
Einen Shot Olivenöl auf nüchternen Magen
Auch das gehört inzwischen zur Social-Media-Routine vieler Menschen: ein Shot Olivenöl am Morgen. Promis wie Benny Blanco und Ryan Seacrest schwören darauf und behaupten, das Öl "schmiere" den Darm, verbessere die Verdauung und helfe gegen Verstopfung.
Bringt das überhaupt etwas? "Olivenöl ist seit langem ein Grundnahrungsmittel der mediterranen Ernährung. Da es reich an einfach ungesättigten Fetten aus Ölsäure, Phytosterolen, Carotinoiden, Tocopherolen und Polyphenolen ist, wird es mit einer Verringerung von Entzündungen in Verbindung gebracht", erklärt Demetriou. Sie verweist auch auf Studien, die darauf hindeuten, dass die Polyphenole im Olivenöl "das Wachstum gesunder Darmbakterien aktivieren und die Darmschleimhaut nähren können, was zur Linderung von Blähungen und Verstopfung beiträgt".
Demetriou fügt jedoch hinzu, dass es kaum Belege dafür gibt, dass diese spezielle Methode und der Zeitpunkt des Olivenölkonsums besondere Vorteile bieten. "Hochwertiges Olivenöl ist sicherlich Teil einer ausgewogenen Ernährung von Vorteil, aber es täglich als Shot zu sich zu nehmen, ist kein Wundermittel für die Darmgesundheit", sagt sie. Sei auch vorsichtig, wenn du Schwierigkeiten hast, Fette zu verdauen, da "Olivenöl ebenfalls kalorienreich und fettreich ist und daher Probleme und Beschwerden auslösen kann".
Warum deine Darm-Balance der Schlüssel zu Gesundheit und Glück ist
Okra-Wasser trinken
Ein weiterer Trend für eine gesunde Darmflora, der auf TikTok zu sehen ist, ist das Einweichen von Okra – einem Gemüse der warmen Jahreszeit, das einen klebrigen Saft enthält – über Nacht in Wasser. Die Idee dahinter ist, dass die dabei entstehende schleimige Flüssigkeit gut für den Darm ist.
Bringt das überhaupt etwas? "Dafür gibt es eine gewisse wissenschaftliche Grundlage: Okra enthält Schleimstoffe, lösliche Ballaststoffe, die den Verdauungstrakt beruhigen und nützliche Darmbakterien ernähren können", sagt Demetriou.
Allerdings seien unsere Erwartungen auch hier wahrscheinlich zu hoch, meint sie. "Die Behauptungen, dass Okra-Wasser den Darm 'entgiften' oder sofortige Linderung bei schweren Verdauungsbeschwerden verschaffen kann, sind übertrieben. Zwar kann es vorteilhaft sein, Okra in die Ernährung aufzunehmen, aber die Bequemlichkeit, Okra-Wasser zu trinken, bietet nicht unbedingt größere Vorteile als der Verzehr von ganzen Okraschoten im Rahmen einer ausgewogenen Ernährung."
Kiwis mit Schale essen
Zugegeben, der Anblick ist gewöhnungsbedürftig – aber immer mehr TikTok-User essen Kiwis einfach wie Äpfel, also inklusive Schale. Und tatsächlich steckt darin mehr, als man denkt.
Bringt das überhaupt etwas? "Dieser Trend hat durchaus ernährungsphysiologische Vorteile – die Schale enthält erhebliche Mengen an Ballaststoffen und Antioxidantien. Laut einer Studie aus dem Jahr 2018 enthält eine geschälte Kiwi etwa 2 g Ballaststoffe, während eine ganze Kiwi – einschließlich Schale – 3 bis 3,5 g enthält. Wenn du diesen Trick ausprobieren möchtest, wasche die Kiwis gründlich, um Pestizidrückstände zu entfernen, wenn sie nicht aus biologischem Anbau stammen", sagt Demetriou.
So erkennst du selbst, ob ein Ernährungstrend wirklich sinnvoll ist
Die meisten Trends rund um Darmgesundheit, sagt Demetriou, haben ihren Ursprung in wissenschaftlichen Erkenntnissen – "doch sobald sie viral gehen, steht oft mehr die Person dahinter im Fokus als die eigentliche Information".
Das Problem: In sozialen Medien wird gerne ein Lebensmittel oder eine Gewohnheit als Schlüssel zur Gesundheit verkauft und deren Nutzen dabei maßlos übertrieben. Dabei hängt Darmgesundheit immer vom großen Ganzen ab: Ernährung, Bewegung, Schlaf, Stressmanagement und Lebensstil spielen zusammen. Oder, wie Demetriou es auf den Punkt bringt: "Die Gesundheit deines Darms hängt nicht von einem einzigen Lebensmittel ab – sondern von deinem gesamten Lebensstil."





