Dehnen: Besser vor oder nach dem Training?

Stretching
Sollte ich mich vor oder nach dem Training dehnen?

Veröffentlicht am 30.07.2024
Mann stretcht sich sitzend im Gym
Foto: Shutterstock/PeopleImages.com - Yuri A

Gehörst du zu den Sportlern, die voller Elan direkt ins Training starten und sich gerne verausgaben, aber zum Dehnen reicht die Kraft und Lust dann nicht mehr? Viele Hobbysportler fragen sich auch: Ist Dehnen vor dem Krafttraining gleichzusetzen mit dem Warm-up? Halten wir fest: Dein Trainingsplan steht, jetzt gilt es nur noch zu klären, wie du dein Training idealerweise startest und beendest, beziehungsweise wann der richtige Zeitpunkt fürs Mobilisieren, Dehnen und Stretchen ist – denn dazwischen gibt es große Unterschiede. Du erfährst, welche Arten der Dehnung es gibt und wann du sie wie lange anwenden solltest.

Sollte ich mich vor dem Krafttraining dehnen?

Die kurze Antwort lautet: Nein, du solltest deine Muskeln kalt, also vor dem Workout, nicht statisch in die Länge ziehen: Damit riskierst du Verletzungen und nimmst deinen Muskeln die nötige Spannung fürs Training. Aber auch mitten im Training, wenn du aufgewärmt bist, ist langes, statisches Stretching über 30 Sekunden nicht das Richtige, denn: Für die Kraftübungen brauchst du die Muskelkontraktionen, also Spannung in der Muskulatur, die du durch Dehnung auflöst. Eine breit angelegte wissenschaftliche Studie kommt zu dem Schluss, dass statisches Stretchen zwar den Bewegungsradius erweitert, aber gleichzeitig die Muskelkraft und Ausdauer reduziert.

Sportwissenschaftler stimmen laut einer anderen im skandinavischen Journal of Medicine & Science in Sports veröffentlichten Studie darin überein, dass Sportler sich vor dem Workout auf jeden Fall allgemein und spezifisch erwärmen, die Muskulatur allerdings erst nach dem Sport statisch dehnen sollten. Bleib also dynamisch und verweile beim Warm-up nicht länger als 20 Sekunden in einer Dehnung.

Diese Dehnarten gibt es

Dehnen ist nicht gleich Stretchen und es gibt passive und aktive Formen des Beweglichkeitstrainings. Wir schauen uns diese einmal näher an.

Stretching oder auch statisches Dehnen

Beim Dehnen denken die meisten an das klassische Stretching. Dies ist gleichzusetzen mit dem statischen Dehnen, bei dem in der Endposition der Übung keine Bewegung stattfindet und diese länger als 20 Sekunden gehalten wird. Ziel dabei ist es, die Beweglichkeit zu verbessern, weil unsere Muskulatur durch einseitige Bewegungen oder auch zu wenig Bewegung, aber auch durch regelmäßiges Krafttraining, verkürzt. Um dem entgegenzuwirken, sollte sich also jeder mehrfach die Woche stretchen, beziehungsweise sich statisch dehnen. Wenige Minuten reichen schon.

Hast du in letzter Zeit mal probiert, aus dem Stand mit durchgestreckten Beinen deine Füße zu berühren? Wenn du diese klassisches Stretchingpose täglich übst, wirst du schon nach wenigen Wochen immer tiefer oder wirklich bis an deine Füße kommen. Du wirst also flexibler, weil sich deine Muskeln, Sehnen und Bänder in der Länge anpassen. Neben deiner Beinrückseite solltest du vor allem auch den Hüftbeuger, die Brust, den Rücken und die Hüfte regelmäßig stretchen. Passende Dehnübungen findest du in diesem Artikel. Die dadurch gewonnene Flexibilität steigert deine Performance in jeder Sportart und löst schmerzhafte Verspannungen im Alltag. Wenn du keine Lust auf Stretching hast, setze auf Yoga: Damit tust du nicht nur deinem Körper, sondern auch deinem Geist etwas Gutes.

Passives vs. aktives Dehnen

Beim Stretching unterscheidet man noch zwischen dem aktiven und passiven Dehnen. Passives Dehnen geschieht durch externe Faktoren, wie etwa einen Widerstand, etwa eine Wand oder ein Stretching-Band oder einen Trainingspartner. Ein Beispiel: Du dehnst deine Brust im Türrahmen und hältst die Endposition für mindestens 30 Sekunden.

Beim aktive Stretch dehnst du einen Muskel, indem du den Gegenspieler aktivierst. Diese Dehnung hältst du mindestens 10 Sekunden, dann löst du kurz auf und kommst beim nächsten Mal noch weiter oder tiefer. Der Bewegungsradius vergrößert sich. Beispiel: Im Ausfallschritt dehnst du deinen Hüftbeuger, indem du Bauch und Gesäß aktivierst.

Dynamisches Dehnen

Beim dynamischen Dehnen machst du langsame, federnde Bewegungen innerhalb einer Dehnposition. Und zwar ohne Schwung oder Ruck und mit einem kleinen Bewegungsradius. Wozu das gut sein soll? Dynamisches Dehnen steigert, wie eine wissenschaftliche Untersuchung in der "physiopraxis" darlegt, zwar nicht langfristig die Beweglichkeit, dient aber kurzfristig dazu, flexibler in den Übungen zu werden und erwärmt die Strukturen im Körper. Dynamisches Dehnen ist also entscheidend für das Warm-up. Ein Beispiel wäre die tiefe Hocke, in der du leicht auf und ab wippst.

Wie wärme ich mich vor dem Krafttraining richtig auf?

Du bist dir nun im Klaren darüber, dass statische Dehnübungen nichts im Warm-up zu suchen haben, weil sie an dieser Stelle für dein Training eher hinderlich sind und die Verletzungsgefahr erhöhen. Das Aufwärmen vor dem Sport dient dazu, deine Herzfrequenz und Durchblutung zu steigern, die Muskeln also mit Nährstoffen und Sauerstoff zu versorgen. Außerdem geht es darum, mental wie körperlich das Zusammenspiel von Muskelketten, Gelenken, Sehnen und Bändern auf die folgenden Übungen vorzubereiten, für mehr Koordination und Power in den Übungen ohne Verletzungsrisiko.

Dein Ziel sollte daher sein, deinen Körper für 5 bis 10 Minuten durch moderates Kardiotraining allgemein zu erwärmen und im nächsten Schritt Mobilisationsübungen zu absolvieren. Im Anschluss machst du den ersten Satz deiner Übung, jeweils mit wenig Gewicht. Dein perfektes allgemeines und spezielles Warm-up sollte möglichst nicht kürzer als 10 Minuten, aber auch nicht länger als 15 Minuten dauern, weil du deinen Körper auf diese Weise schon vor dem eigentlichen Training ermüdest und deine Leistungsfähigkeit darunter leidet.

In diesem Video der Men's-Health-Fitnessuni erklärt Sportwissenschaftler Stephan Geisler detailliert, wie sich Stretching auf den Kraftsport auswirkt:

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Was sind Mobilisationsübungen?

Mobilisationsübungen sind funktionelle Übungen, bei denen mehrere Gelenke zusammenarbeiten. Dadurch soll, anders als beim Dehnen, nicht die Muskeln weicher, sondern der Bewegungsumfang der Gelenke gesteigert werden. Also: Mobilität meint die Beweglichkeit der Gelenke und Flexibilität bezieht sich auf die Dehnfähigkeit der Muskulatur. Beides ist für komplexe Bewegungsabläufe und einen schmerzfreien Alltag ohne Dysbalancen wichtig. Hier stellen wir dir die besten Mobility-Übungen für dein Training vor.

Anstelle der Mobilisationsübungen kannst du auch auf dynamische Dehnübungen setzen. Auch hier kommt der Körper durch das Federn auf Temperatur. Natürlich kannst du auch beides im Warm-up kombinieren und so deinen Defiziten entgegenwirken: Bei einer abgeschwächten Brust helfen beispielsweise federnde Planks beziehungsweise Mini-Push-ups, um später beim Bankdrücken die Stange sicherer und tiefer zu bewegen.

Verbessert Dehnen nach dem Training die Regeneration?

Tatsächlich fördert Dehnen die Durchblutung der Muskulatur, was diese mit Nährstoffen versorgt und die Regeneration unterstützt, aber: Intensives Krafttraining hat deine Muskeln nicht nur maximal ermüdet, sondern auch Mikrorisse in der Muskulatur verursacht. Diese müssen repariert werden und gleichzeitig wächst der Muskel mit der richtigen Ernährung, ausreichend Pausenzeit. Wer allerdings direkt nach dem Workout noch ein langes Dehnprogramm absolviert, läuft Gefahr, die muskulären Schäden zu maximieren. Bedenke, dass deine Muskeln durch das Training noch stark unter Spannung stehen und ermüdet sind. Solange du dir keinen Muskelfaserriss zuziehst, heilen die Mikroverletzungen zwar unkompliziert aus, es kann jedoch unnötig länger dauern, was deine folgenden Trainings gefährdet. Die sichere Alternative wäre, dein Krafttraining so zu gestalten, dass du mit komplexen Übungen deine Beweglichkeit schon während des Trainings förderst oder du verschiebst das statische Dehnen auf morgen. Deine Durchblutung kannst du auch mit einer Faszienrolle oder einem Saunagang fördern, um die Regenerationsprozesse im Körper zu unterstützen.

Fazit: Dehnen ist nicht gleich Dehnen und der Zeitpunkt ist entscheidend

Du weißt jetzt, dass man in der Sportwissenschaft zwischen dynamischen und passiven Dehnen unterscheidet. Dynamische oder auch kurze passive Dehnübungen kannst und solltest du vor deinem Krafttraining machen. Ebenso wie Mobility-Training, das auf die Beweglichkeit deiner Gelenke abzielt. Nach dem Workout sorgst du besser für proteinreiches Muskelfutter und Erholung. Um die Flexibilität deiner Muskeln, Sehnen und Bänder kannst du dich mit einem statischen Stretching, nach einem kurzen Warm-up, getrost am nächsten Tag kümmern, damit du deine Muskeln nicht überstrapazierst. Wenn du Muskelkater hast, verzichtest du besser noch darauf. Grundsätzlich ist regelmäßiges Stretching wichtig, um Verkürzungen der Muskulatur entgegenzuwirken – nur eben nicht im Rahmen deines Krafttrainings, weil es zwar deine Beweglichkeit erhöht, aber unmittelbar deine Kraft- und Ausdauerleistung reduziert.

Erwähnte Quellen:

Park HK, Jung MK, Park E, Lee CY, Jee YS, Eun D, Cha JY, Yoo J (2018): The effect of warm-ups with stretching on the isokinetic moments of collegiate men. IN: J Exerc Rehabil, zuletzt abgerufen am 27.06.2024.

Scheinobst, D (2021): Dehnen versus Krafttraining – Beweglichkeit verbessern. In: physiopraxis, zuletzt abgerufen am 27.06.2024.