Avocado, Quinoa und Co.
Diese Nachteile haben Superfoods für Umwelt und Mensch

Superfoods wie Avocado, Quinoa und Co. sind in aller Munde, selbst Discounter haben sie – en masse und billig. Was viele nicht wissen: Der Run auf diese Lebensmittel hat auch Nachteile, und zwar für Umwelt und Mensch
Wasserflaschen Avocado
Foto: istockphoto / PR

Niemand möchte dir den Appetit auf ein Sandwich mit Avocado verderben. Auch wir lieben Superfoods! Aber es stellt sich schon die Frage, inwieweit diese Wunderlebensmittel, die gesund, schön und jung halten, auch gut für die Umwelt und die Menschen in den Herkunftsländern sind. Ein wichtiger Punkt: Diese Lebensmittel kommen oft von weit her und lassen sich bei uns in Europa nicht oder nur deutlich schlechter anbauen. Zu diesen schwierigen Kandidaten gehören Avocados und Chiasamen aus Mexiko, Quinoa aus Bolivien und Peru, Gojibeeren aus China oder Moringa aus Indien. Der Gedanke liegt nahe, dass die Nachfrage nach den exotischen Produkten doch auch den jeweiligen Einwohnern guttun muss. Schließlich verkaufen sie mehr und machen mehr Gewinn. Doch das stimmt leider nur zum Teil. Oftmals führen der Boom bei Superfoods und das damit erweckte Gewinnstreben zu gefährlichem Raubbau und zu anderen Problemen.

Bewusst leben: So geht's
Avocado Pflanze
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Avocado Pflanze in Mexiko

Wie das grüne Gold Mexiko ruiniert

Mehr als fünf Millionen Tonnen Avocados pro Jahr wurden weltweit in den letzten drei Jahren geerntet. Der größte Teil davon wurde in die USA und nach Europa exportiert. Laut World Avocado Organization verzehrten allein die Europäer 2016 mehr als 460 Millionen Kilo Avocados, 2017 waren es etwa 480 Millionen Kilo, für 2018 sind sogar 550 Millionen Kilo prognostiziert. Dafür rührt die Organisation kräftig die Werbetrommel – etwa mit E­Kochbüchern, Werbebussen und Kooperationen mit Einzelhändlern und Discountern. Aber was haben die Menschen im Herkunftsland von dem Boom? Rund 90 Prozent der mexikanischen Avocados werden im Bundesstaat Michoacán im westlichen Zentralmexiko angebaut. Mit der Folge, dass immer mehr Waldflächen für Avocado­Plantagen gerodet werden. Und das, obwohl Avocados beinahe schon eine Investition in die Zukunft sind, denn neue Setzlinge können frühestens nach 7 Jahren zum ersten Mal abgeerntet werden.

4.000 Hektar Wald werden in Mexiko jedes Jahr gerodet, um Platz für Avocado-Plantagen zu machen

Doch es lohnt sich. Schon der Besitz von rund 1.000 Avocado­Pflanzen kann pro Jahr einen Gewinn von einer halben Million Dollar bringen. Bei einem durchschnittlichen Jahreseinkommen von rund 10.000 Dollar weckt das Begehrlichkeiten. Aber es hat auch massive ökologische Auswirkungen. Immer mehr 
Pinienwälder müssen den Avocado­Plantagen weichen. Und der Wasserverbrauch ist enorm. "Rund 1.000 Liter Wasser werden benötigt, um ein Kilo Avocados zu produzieren", erklärt Dr. Wilfried Bommert, Sprecher des Instituts für Welternährung e. V. in Berlin. "Wenn die Nachfrage so hoch bleibt, werden immer mehr Avocados in umweltschädlicher Plantagenproduktion hergestellt." Zum Vergleich: In Deutschland werden nur acht Liter Wasser für ein Kilo Kartoffeln gebraucht (wenn es normal regnet). Während die Vielschlucker­Avocados in Mexiko zu einer Wasserknappheit führen, die auch alle anderen Bauern betrifft, bringt zu gleicher Zeit der Einsatz von Pflanzenschutzmitteln das Land zum Ersticken.

Boarding Pass
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In den Jahren 2009 bis 2013 hat sich der Preis von Quinoa verzehnfacht

Das Gold der Inka wird zum Fluch

Ähnlich verhält es sich mit Quinoa. In Zeiten des Hypes um Produkte ohne Gluten und Co. steht das proteinreiche Pseudogetreide bei Sportlern und Fitness Freaks hoch im Kurs. Von 2009 bis 2013 hat sich der Preis verzehnfacht. Als die Ernährungs­ und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) 2013 auch noch zum Internationalen Jahr der Quinoa ausgerufen hatte, war nichts mehr zu stoppen. Was für die Bauern mit Landbesitz einen Boom bedeutet, das ist für die Bevölkerung der Anden eine mittlere  Katastrophe, besonders für Peruaner und Bolivianer. Ihre Länder bauen den Großteil der Quinoa an. Dort herrscht dadurch eine Knappheit der Böden für Grundnahrungsmittel. Die Folge: Der Preis für diese Lebensmittel steigt, und die Bevölkerung kauft gezwungenermaßen günstige, aber nährstoffarme Pasta, Brot oder Kartoffeln, die den Magen füllen. "Traditionell wird Quinoa im Hochland der Anden angebaut, denn dort bieten die Lehmböden die idealen Voraussetzungen", erklärt Experte Bommert. Um die Produktionsmenge zu erhöhen und der Nachfrage gerecht zu werden, wandern die Anbauflächen immer weiter in die Ebenen des Landes. "Dort ist der Boden viel nährstoff­ ärmer, nicht so lehmhaltig und benötigt deutlich länger zum Regenerieren." Aber: "Die Erträge verringern sich dadurch, außerdem haben die Bauern mit Schädlingen zu kämpfen, die in den Höhen der Anden nicht aktiv sind." Weitere Folge: Bodenerosion, da Sträucher den Plantagen weichen müssen.

Chiasamen sind eine fragwürdige Saat

Auch die Chiasamen haben in den letzten fünf Jahren eine rasante Entwicklung durchgemacht, speziell in Europa. Bis 2013 durften sie nur als Zutat in Backwaren verwendet werden, bis die EU schließlich die Genehmigung für den Verkauf von Chiaprodukten stark erweiterte. 2014 ist der Markt förmlich explodiert, seit 2015 sind die dunklen Körnchen auch im letzten Discounter angekommen. Diese extreme Erhöhung der Nachfrage hat auch den Preis in die Höhe schnellen lassen. Selbst Chia ohne Biosiegel wurde zeitweise für zehn Euro pro Kilo gehandelt. Mittlerweile ist der Preis aber wieder auf rund 2,50 Euro gesunken, weil der Anbau massiv ausgeweitet worden ist.

Die Anbaufläche in Südamerika ist innerhalb eines Jahres um 240 Prozent gewachsen. Außerdem kamen Australien und Afrika als Produzenten hinzu. Wird in derart kurzer Zeit so viel mehr Ware benötigt, kommt es schnell dazu, dass gefälschte, minderwertige Produkte in Umlauf kommen. "Bei Chiasamen ist vor allem der Einsatz von Spritzmitteln in Südamerika ein großes Problem", sagt Dr. Bommert. "Zwar gibt es auch viele kleine Biobauern, deren Felder liegen aber oft neben den großen industriellen und werden von dort kontaminiert." Die Böden sind meist außerdem vom Sojaanbau belastet, sodass dies alles in den Chiasamen landet, wenn diese als Zwischenfrucht angebaut werden. Allen voran sind dann Herbizide wie Glyphosat, Diquat und Paraquat in den Pflanzen enthalten. Teilweise ist das so schlimm, dass Ware, die auf dem Markt ist, eigentlich gar nicht verkauft werden dürfte. Auch Schimmelpilzgifte, so genannte Aflatoxine, sind in den Samen enthalten – diese können Krebs verursachen.

Der Absatz von Chiasamen erhöhte sich in vier Jahren um den Faktor 100.000

Für den Endverbraucher gilt: Nur Bioware ist wirklich vertrauenswürdig — wie Ellen Scherbaum vom Chemischen und Veterinäruntersuchungsamt (CVUA) in Stuttgart bestätigt. Dort werden jährlich etwa 400 Proben von verschiedensten Bioprodukten überprüft und mit denen von etwa 2000 konventionellen Lebensmitteln verglichen. Die Ergebnisse sind in den letzten 15 Jahren nahezu identisch geblieben: "Die konventionelle Ware weist in etwa 90 Prozent der Fälle deutliche Pestizid­Rückstände auf – im Mittel sind diese 180­mal höher als bei Bioprodukten", sagt Scherbaum. Die bei diesen Produkten nachgewiesenen Rückstände sind oft durch Abdrift von anderen Feldern oder durch Kontamination bei der Verarbeitung entstanden.

Der immense Einsatz von Gift schädigt nicht nur die Böden, die Umwelt und den Endverbraucher, sondern vor allem die Bauern, die das Gift auf die Pflanzen ausbringen müssen, und die Menschen, die in der Umgebung leben. Dies ist nicht nur bei Chia ein Problem, sondern auch bei Soja, Mais und Baumwolle. Alle Felder werden großflächig mit den Herbiziden und Pestiziden besprüht, und in den umliegenden Dörfern häufen sich plötzlich die Fälle von Krebs oder Fehlgeburten sowie Probleme mit den Atemwegen oder dem Kreislauf.

Superfood ist für Bauern selten super

Viele der Probleme lassen sich auf eine ganze Reihe der so genannten Superfoods übertragen. Egal, in welchem Teil der Welt sie angebaut werden: Meist verdienen nur ganz wenige sehr viel Geld damit, während die Mehrheit der Bevölkerung und vor allem die Umwelt darunter leiden. Die Hoodia gordonii, eine kaktusähnliche Pflanze aus den Halbwüsten Südafrikas, die als Schlankmacher gehypt wurde, wurde so fast ausgerottet. Wild wachsende Hoodia gelten als bedrohte Art und unterstehen seit 2004 sogar dem Artenschutz. Trotzdem werden daraus noch immer Kapseln, Gels, Tropfen oder Kaugummis im Internet angeboten, welche die Kalorienaufnahme um 40 bis 50 Prozent senken sollen. Verbraucherzentralen warnen davor, da die Einnahme sogar gefährlich sein kann. Es gibt keine seriöse Studie, die die Gewichtsabnahme belegt, die appetithemmende Wirkung geht häufg mit Nebenwirkungen wie etwa Übelkeit oder Herzrasen einher.

Grünkohl ist unsexy, aber auch gesund

Was die Superfoods von unseren hiesigen Lebensmitteln unterscheidet, ist in erster Linie das Image. Sie kommen von weit her, sind exotisch und werden von einer riesigen Marketing­Maschinerie als Wundermittel beworben. Laut Defnition ist ein Superfood "ein nährstoffreiches Lebensmittel, das als besonders förderlich für Gesundheit und Wohlbefnden erachtet wird" (Oxford English Dictionary). Dafür muss niemand Ozeane überqueren. Heimische Lebensmittel sind
genauso gesund, haben dieselben gesunden Inhaltsstoffe in ähnlichen Mengen. Aber wie  sexy sind schon Leinsamen, Grünkohl und Rote Bete im Vergleich zu Chia, Goji und Amaranth?

"Der Preis, der fürs Image draufgeschlagen wird, ist bei hiesigen Produkten einfach nicht drin, die Marge ist nicht so hoch", weiß Experte Bommert. "Dabei enthalten alle unverarbeiteten Lebensmittel wie Obst, Gemüse, Nüsse und Saaten eine Fülle von Vitaminen, Mineralien und sekundären Pflanzenstoffen, die extrem wichtig für den Körper sind. Eine ausgewogene mitteleuropä­ische Mischkost ist besser als eine Fixierung auf ein einzelnes Superlebensmittel." Darin stecken zwar ein paar Wirkstoffe in extrem hoher Menge, andere kommen aber kaum vor. Daher ist eine gute Mischung auf dem Teller viel gesünder. Wer sich dann noch nach der Saison richtet und möglichst regional kauft, spart Geld und reduziert den CO2­Ausstoß.

Was bleibt nach alldem vom Hype?

Keiner muss auf Superfoods verzichten. An Guacamole und Chiapudding haben sich viele mittlerweile gewöhnt. "Kaufen Sie aber nachhaltige Bioprodukte, die fair gehandelt werden", rät Dr. Wilfried Bommert. "So haben auch die Erzeuger und ihre Familien etwas davon." Der Marktanteil der Bioware entspricht allerdings derzeit nicht mal zehn Prozent. Superfoods sind keine Heilsbringer, mit denen sich schlechte Gewohnheiten wie viel Junkfood, Alkohol, Rauchen und zu wenig Schlaf ausgleichen lassen. Sie ergänzen den Speiseplan, mehr nicht. Dein Fokus sollte auf heimischen Produkten wie Spinat, Grünkohl, Walnüssen, Leinsamen und Beeren liegen, natürlich auch gern bio. Denn die sind auch ohne viel Chichi supergesund – und günstig noch dazu.

Local Food statt Superfood

Diese regionalen Lebensmittel sind genauso gesund, haben nur weniger Fame und Marketing

  • Leinsamen statt Chiasamen: Beschaffenheit und Inhaltsstoffe sind sich extrem ähnlich, die Leinsamen kosten aber auch in Bioqualität nur einen Bruchteil der Chiasamen. 
  • Hirse statt Quinoa: Nur 1 Gramm Eiweiß mehr steckt im Pseudogetreide Quinoa, außerdem 2 Gramm mehr Fett. Zudem enthält Hirse 2,5-mal so viel Eisen wie Quinoa.
  • Heidelbeeren statt Gojibeeren: Zuckerhaltige Gojibeeren sind zwar sehr gesund, aber vor allem im Sommer liefern auch kalorienarme Heidelbeeren wertvolle Antioxidantien.
  • Grünkohl statt Granatapfel: Diese grüne Wunderwaffe ist ein Nährstoffgarant. Im Sommer kannst du einfach zur Tiefkühl-Variante greifen!
  • Brokkoli statt Moringa: Das Kohlgemüse ist ganzjährig in guter Qualität erhältlich. Außer bei den Vitaminen A und E hat es die Nase vorn, eine Portion deckt sogar schon deinen Bedarf an Vitamin K1.
  • Rapsöl statt Kokosöl: Im Rapsöl steckt mit die beste Zusammensetzung an ungesättigten Fettsäuren überhaupt. Soll es doch mal exotischer sein, dann greif doch zu Leinöl oder Olivenöl. Die rangieren ebenfalls unter den Öl-Stars.
  • Sanddorn statt Acerola: Zwar enthält Sanddorn nur die Hälfte des Vitamin C von Acerola, aber das ist immer noch mehr als genug, denn der Überschuss des wasserlöslichen Vitamins wird sowieso ausgeschieden.

Fazit: Superfoods gibt es auch bei uns.
Avocado, Quinoa und Co. mögen im Trend sein - dennoch musst du dir bewusst sein, welche negativen Auswirkung dein Einkauf haben kann. Auch der Konsum von Superfood aus Lima vergrößert deinen ökologischen Fußabdruck - dabei könntest du auch regionale Produkte wie Hirse kaufen.

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10 / 2023

Erscheinungsdatum 20.09.2023